Aufmerksame Stille
Andrea Meishammer stellt in kleinen, sorgsam geschichteten und aufwändig entwickelten Gemälden, wofür sie bevorzugt Oel und Temperafarben verwendet, Wasser als Medium in Wald und Flur dar. Wasser, das als Pfütze, Teich oder See träge steht, Wasser das rinnt, fließt, strömt und in Wirbeln Gefälle überwindet. Aber es geht nicht um Spektakuläres, sondern um der Aufmerksamkeit entgehendes Gewöhnliches. Kein Wasserfall, nichts Imposantes, sondern die Qualität von Licht beschienenen Wassers im Kleinen, aber durch Nähe als Groß erscheinend. Blätter treiben und schwimmen da auf dem von ihr gemalten Wasser und verstärken den Bewegungsdrang, den Schnellen, Hindernisse, Bachläufe als elementaren Impuls von Schwerkraft und Flüssigkeit vermitteln. Wasser als durchsichtiges Medium hat selbst materielle Qualität, bricht die Optik, hat Oberflächenspannung und reflektiert das Umfeld.
Die Vielfalt der optischen Erscheinungen, die schon Claude Monet in seinem Gartenteich in Giverny thematisiert hat, bleibt eine malerische Herausforderung, um Untergrund, abgeknickte Stengel, das Wasser selbst, die Fließrichtung, die Oberflächenstruktur und die Reflexion von Wolken und Baumbestand zugleich darzustellen, was das Auge in einem Hintereinander von Fokussierungen erkennt und die Kamera auf einen Tiefenschärfesektor beschränken muss. Alle diese optischen Erscheinungen müssen nicht nur von der Künstlerin erfasst werden, die ein wirkungsvolles Areal dafür aussucht, sondern auch malerisch nach und nach in der Tiefenwirkung gehoben werden. Die Verwirbelungen, die Spiegelungen müssen glaubwürdig sein hinsichtlich der Geschwindigkeit und Flussbettiefe. Die Lichtreflexe müssen stimmen und zudem in ihrer Anordnung, Rhythmik und Farbgebung die aufmerksame Zurückhaltung unterstützen, die bei Andrea Meishammer mit dem Ziel einer Wahrnehmungsschulung und Konzentration verbunden ist. Das Faszinosum des Schauspiels der Naturkräfte wird im Kleinen durchgespielt und die gewählten Ausschnitte fordern die Aufmerksamkeit für normalerweise dem flüchtigen Blick entgehende Parzellen und Aspekte der Natur ein. Der stumpfe, nüchtern sensible Grundton, latent komplimentärkontrastiger, aber vor allem vom Lokalton abweichender Oberflächenerscheinungen, machen wieder eine kleine Bühne aus dem Geschehen, an dem man durch leicht fremdfarbige Distanz bewusster optisch teilhat.
Das Phänomenhafte, nicht der Photorealismus ist ihr Ziel. Das quicklebendige Wasser zeigt seine Kraft in uneinheitlichen Zuständen der Strömung und Verwirbelung, daher spielt Andrea Meishammer das Thema in zahlreichen Bildern durch, die ganz bewusst im Wald und im Entlegenen gesucht werden, da wo der Himmel im Hallenraum der Bäume auch farblich wirksam und sichtbar bleibt, wo keine Autos und sonstiger Lärm stören, aber dennoch Leben verströmende Geräusche von Vögeln und Atem ausgehen, wo Stille herrscht, die nicht lautlos ist, sondern „mit allen Sinnen, bis hin zur IchVerlorenheit“ zur inneren Ruhe führt, die das Gedankenkarrussel still stehen lässt, Losgelöstheit und Ruhe hervorruft, die als Versenkung in die Betrachtung bei der Künstlerin und bei den Betrachter*innen ausgelöst wird und die Sinne schärft.
Die Erweiterung der Wahrnehmung für die Schönheit im Alltäglichen schafft in ihren Bildern den Konzentrationsraum für die Wunder des Sehens und der Natur, den die Aufmerksamkeit heischende Werbewelt mit ihren grellen Sensationen und Attraktionen auf ein plumpes Reizreaktionsmuster herabgewürdigt hat, das die Sensibilität schädigt, die durch Gegenbilder wieder zurückgewonnen werden kann. Sehen kann fast jeder, wahrnehmen will geübt sein, zuviele Reize stumpfen ab und schädigen: mehr die Wahrnehmung und die Beziehung zur Umwelt, als den Augenapparat. Dabei ist doch die Welt in naher Umgebung reizvoller, als man denkt. Die Schönheit der Orchidee ist Klischee, die der Brennnessel gilt es zu erkennen. Durch diese Bilder kann man es sehen. Der spezielle Reiz und die sanfte Kraft der Schönheit erschließt sich aber erst im Original, das durch eine Fotografie nicht ersetzt werden kann, die nur dokumentarische Wirkung entfaltet.
Text Dr. Dirk Tölke